H. Wegmann: Vom Kolonialkrieg zur Kolonialbewegung

Cover
Titel
Vom Kolonialkrieg in Deutsch-Ostafrika zur Kolonialbewegung in Freiburg. Der Offizier und badische Veteranenführer Max Knecht (1874–1954)


Autor(en)
Wegmann, Heiko
Reihe
Rombach Wissenschaften Alltag und Provinz 16
Erschienen
Freiburg i. Br. 2019: Rombach
Anzahl Seiten
580 S.
Preis
34,00 €
von
Heiko Haumann, Departement Geschichte, Universität Basel

In den gängigen Werken zur Geschichte Freiburgs i. Br. taucht der Kolonialismus kaum auf. Erst seit den 1990er Jahren sind Ansätze zu finden, sich mit der kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Heiko Wegmann, ausgewiesen durch zahlreiche Arbeiten zu diesem Thema, aber auch zur Geschichte des «Dritten Reiches» und besonders der SS im südbadischen Raum, zeigt nun mit seiner 2018 vorgelegten Dissertation, dass der koloniale Gedanke eine bedeutsame Rolle in der Stadtgeschichte spielte und Auswirkungen bis in die Gegenwart hat. Die Untersuchung beruht auf einer umfassenden und teilweise erstmals bearbeiteten Quellengrundlage sowie einer Auswertung der einschlägigen Literatur. Theoretisch orientiert sich Wegmann vor allem an Vorstellungen zur transnationalen und postkolonialen Geschichte. Wie so oft erweist sich das Verfahren, über die Biografie eines wichtigen Akteurs Zusammenhänge und Strukturen zu erschliessen, als aufschlussreich und weiterführend – das hätte theoretisch freilich noch vertieft werden können.

Max Knecht, 1874 in Basel als Sohn einer Schweizerin und eines badischen Offiziers geboren, wuchs im Elsass auf und entschied sich für eine Militärlaufbahn. Er strebte einen Einsatz im Kolonialdienst an, zumal er in eine Bankiersfamilie einheiraten wollte, die sich aktiv in der Kolonialbewegung betätigte. 1905 wurde er zur Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika einberufen und dort sofort im Maji-Maji-Krieg im heutigen Tansania eingesetzt. Knecht, dessen Tagebuch Wegmann erstmals auswerten konnte, stand hinter der Politik der «kontrollierten Härte» (S. 179). Hinrichtungen und das Niederbrennen von Dörfern hielt er für legitim. 1907 übernahm er die Leitung eines Grenzpostens in Ruanda. Auch hier offenbarte er sich als überzeugter Anhänger des Kolonialismus und zugleich glühender Nationalist. Die deutsche Politik vertrat er mit dem «zeittypischen Herrenmenschentum » (S. 287). Über die militärische Gewalt hinausgehende Exzesse, Machtmissbrauch oder persönliche Bereicherung sind nicht bekannt.

1908 trat Knecht in das Freiburger Infanterie-Regiment Nr. 113 ein. Im Herzen blieb er jedoch Kolonialoffizier. So hielt er nicht nur Vorträge, sondern führte auch eine Abteilung der Freiburger Jugendwehr, in der deutliche kolonialistische Einflüsse spürbar waren. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er an der Westfront. In der Nachkriegszeit trat er gegen die Soldatenräte auf und engagierte sich in der bürgerlichen Einwohnerwehr, wurde aber während des Kapp-Putsches zum Rücktritt gezwungen. Seit 1919 leitete Knecht die Freiburger Ortsgruppe des Deutschen Offiziersbundes. Dieses Amt behielt er auch bei, nachdem er 1921 die Reichswehr verlassen und die Funktion eines Archivars beim Freiburger Bankhaus Krebs angetreten hatte. Kommunalpolitisch betätigte er sich in der liberalen Deutschen Volkspartei, die er auch als Stadtverordneter vertrat. Im März 1933 wechselte er zur Deutschnationalen Volkspartei und unterstützte die NSDAP, der er sich 1937 dann auch offiziell anschloss.

1925 war Knecht an die Spitze der Oberbadischen Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft getreten. Er nutzte diese Position, um die koloniale Ideologie, die ohnehin im Freiburger bürgerlich-liberalen Milieu weit verbreitet war, intensiv in die Bevölkerung hineinzutragen. Einen Höhepunkt bildete 1935 die Durchführung der Reichskolonialtagung in Freiburg, die mit einer grossen Ausstellung verbunden wurde. Auf diese Weise konnte die Verbindung zwischen Kolonialbewegung und Nationalsozialismus gefestigt werden. 1936 ging die Kolonialgesellschaft im Reichskolonialbund auf, und Knecht wechselte in eine leitende Funktion beim Reichskriegerbund. 1937 wurde er in die SS aufgenommen. Antisemitische Äusserungen und Aktivitäten sind hingegen nicht überliefert. Während des Zweiten Weltkrieges diente er im Ersatzheer. Die «Entnazifizierung» überstand er durch eine «Strategie der Verharmlosung, Rechtfertigung und Auslassung» (S. 523). Er wurde als «Minderbelasteter» eingestuft und 1950 begnadigt. In seinem Lebensrückblick sparte er die NS-Zeit aus. Für seine Beerdigung 1954 hatte er verfügt, dass seine Schutztruppentätigkeit im Mittelpunkt stehen sollte. Das weist darauf hin, «dass er mit sich bis zum Schluss im Reinen war und keinen Anlass zur Selbstkritik sah» (S. 531).

Knecht war ein «vorbildlicher Typus eines Kolonialoffiziers» (S. 535). Seine rassistische Denkweise und sein Nationalismus liessen ihn die Afrikaner als zur «Zivilisierung» unfähig ansehen (ebd.). Es ging ihm um Herrschaft und Überlegenheit Deutschlands. Durch die Rekonstruktion seines Lebens zeigt sich, wie vernetzt er selbst und die von ihm vertretenen Organisationen mit anderen Verbänden waren und wie sehr es ihm gelang, die mit dem Kolonialgedanken verbundenen Anschauungen in den «Köpfen und Herzen der Mitmenschen» (S. 538) zu verankern. Das wirkt bis heute nach – etliche diskriminierende Denkmuster lassen sich bis in die Zeit des Kolonialismus zurückverfolgen.

Heiko Wegmann hat eine eindrucksvolle und überzeugende Analyse vorgelegt. Über Knechts Biografie eröffnen sich neue Einblicke in die jeweiligen Kontexte – von den Verhältnissen im Elsass nach 1870/71 über den trotz einiger wichtiger Studien immer noch wenig bekannten Kolonialkrieg in Deutsch-Ostafrika (hier hat Wegmann mit 19 Interviews, die in seinem Auftrag geführt wurden, neue Quellen erschlossen) bis hin zu den vielfältigen Querbeziehungen in Freiburg. Dabei schärft der Autor das Bild, indem er Knechts Verhalten mit Denken und Handeln vergleichbarer Personen in Beziehung setzt, sodass Varianten und Alternativen sichtbar werden. Seine Urteile fallen differenziert aus. Das Buch ist trotz der Länge gut lesbar. Zu bedauern ist, dass Knechts Privatleben weitgehend ausgespart bleibt. Diese Aspekte seiner Lebenswelt hätten vielleicht manche Züge seines Verhaltens genauer hervortreten lassen, andererseits den Umfang des Buches noch mehr ausgeweitet. Insgesamt ist das Buch ein Meilenstein bei der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus und seiner langfristigen Tiefenwirkung.

Zitierweise:
Haumann, Heiko: Rezension zu: Wegmann, Heiko: Vom Kolonialkrieg in Deutsch-Ostafrika zur Kolonialbewegung in Freiburg. Der Offizier und badische Veteranenführer Max Knecht (1874–1954), Freiburg i. 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (1), 2021, S. 196-197. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00080>.